Folge 36: "Kein Bier für Idioten!" (0) (Teil 1, zum Teil 2!) diese Seiten sind vorerst nur Platzhalter für einen neuen Text aus Esperanto aktuell 2018/Heft1! |
"Kein Bier für Idioten!"
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Genauso wenig, wie es römischen Kaisern gelungen war, unliebsame Gedanken auszurotten, hatte dann die römische Kurie (genauer: die Congregatio Romanae et universalis Inquisitionis, später Sacra Congregatio Sancti Officii) nur magere Erfolge mit ihrem Jahrhunderte lang gepflegten und veröffentlichen Index Librorum Prohibitorum = „Verzeichnis verbotener Bücher“, welcher erst 1966, also nach dem 2. Vatikanischen Konzil abgeschafft wurde(4) (ungewöhnlich für die katholische Kirche: es wurden sogar die Strafen aufgehoben, die auf Grund dieser Verbote eingetreten waren!). Als Kuriosum kann man da auch Ovid erwähnen. Der soll wegen seiner erotisch freizügigen Liebeselegien und des Ratgebers „Ars amatoria“ über die Liebeskunst durch den sittenstrengen Kaiser Augustus ans Schwarze Meer verbannt worden sein, allerdings erst 8 Jahre nach dem Erscheinen dieses anstößigen Werks. Sein Hauptwerk Metamorphosen war aber noch nicht erschienen, und Ovid verbrannte dessen Manuskript kurzerhand selbst, angeblich aus Verzweiflung. Doch auch davon gab es bereits Abschriften, so dass es der Nachwelt dennoch überliefert wurde.
Nicht nur auf die Kirche müsste man zeigen, und nicht nur Inquisitoren, Tyrannen, religiöse
oder nationalistische Fanatiker sind eifrig beim Bücherverbrennen, sondern vor allem
sind das auch (zuweilen selbsternannte) Pädagogen.
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Es ist immer leicht, mit ausgestrecktem Zeigefinger auf andere zu weisen. Doch selbst wenn es sich dabei um echt verabscheuenswürdige (auch um ehemalige) Zeitgenossen handelt, weisen nach allgemeinem Wissen immer noch mindestens 3 Finger auf die eigene Position zurück. Statt die Parole Keine Nazis in den Deutschen Bundestag auszugeben, sollten wir uns alle (statt gewählte Volksvertreter herabzusetzen) fragen, was wir wohl falsch gemacht haben, dass so viele andere Wähler sich nicht mehr mit und in den bestehenden Parteien wohl gefühlt haben. Haben wir den Boden mit-bereitet, auf dem jetzt diese Saat aufging? Ich habe da auch keine passende Antwort parat, aber mahne zum Nachdenken. Hier fragt sich der Leser vielleicht, wie man nun von diesen Themen die Kurve kriegen kann, hin zu einem „echten“ Esperanto-Thema. Leider ist gerade das kein großes Problem! So mancher hat sich vielleicht bei Gesprächen über Esperanto und dessen Verbreitung schon mal zu Aussagen hinreißen lassen wie: In und bei Esperanto gibt es nichts, was es nicht gibt! Da mag wohl etwas dran sein. In einer französischen Diskussionsrunde bei lernu.net(5) gab es vor Jahren schon (genauer: 2011) die besorgte Frage, ob es denn unter den Esperantisten auch Nazis gäbe. Gewiss, es mutet seltsam an, da Zamenhof ja Jude war. Man muss es viel allgemeiner sehen: Fanatiker gibt es zu jedem beliebigen Thema und überall, also auch in der Esperantowelt. Und Fanatismus ist leider nur selten etwas Gutes. Wenn es jedoch geschmacklos wird, dann sollte man sich deutlich distanzieren, egal um welche Richtung von Fanatismus es geht. Hier soll es um Ido gehen. |
Die Plansprache Ido ist nicht der Feind des Esperanto, sondern wie schon ihr Name sagt: ein Abkömmling. Einen solchen muss man nicht bekämpfen, und schon gar nicht ausrotten. Man möchte die Ido-Anhänger vielleicht „bekehren“, aber wenn, dann bitte doch mittels der besseren und deshalb schlagkräftigeren Argumente: „das Bessere ist des guten Feind“ – und auch dieser Spruch ist genau das Falsche! Es ist schade um die viele Energie und Zeit, die die Idisten in die Weiterentwicklung ihrer Sprache investieren, und ich weiß, wovon ich schreibe; denn wenn man auch das Ido in den Sammelauftrag einer Plansprachenbibliothek miteinbezieht, dann muss man auch regelmäßig die Aktivitäten auf diesem Sektor verfolgen. Bevor ich auf Fanatismus in dieser Hinsicht zu sprechen komme, möchte ich noch zitieren, was ich in einem Jura-Forum(6) fand: „Als Akademiker möchte ich anmerken, dass dies das schlimmste für mich Vorstellbare ist, was man mit gedrucktem und gebundenem Wissen machen kann. Wieso sollte man Bücher verbrennen? Auch wenn man nicht die Aussagen oder Meinungen anderer teilt, so haben diese Aussagen doch das Recht zu bestehen. Das Verbrennen von Büchern ist ein Akt der Barbarei und unangemessen in jeder Hinsicht – besonders vor dem historischen Hintergrund unseres Landes. Verachtender kann man pure Dummheit nicht zum Ausdruck bringen.“ Kurz und knapp: wieso müssen denn solche Fanatiker ihre pure Dummheit derart in der Öffentlichkeit breittreten, sozusagen als geistiges Armutszeugnis?
Was ist also von diesem Szenario zu halten: Dass ein Esperantist in ritueller Weise einen Idisten verbrennt?
– Gibt’s nicht? – Sollte es nicht geben!
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Abscheulich und pervers ist auch, wenn Esperantisten dieses Video so kommentieren: „Bruligu lin!!!“
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Vielleicht war es Zufall, dass das Magdeburga folio am 2.1.2018 über einen Blogbeitrag von Solis (= Liu Xiaozhe) berichtete, der sich mit einer ganz ähnlichen Thematik befasste. Solis kam zu folgendem Schluss: „Subtenantoj de Esperanto kaj de aliaj artefaritaj lingvoj estas ne malamikoj, sed samideanoj. Ni kune klopodu por la bela ideo de egalaj homaj lingvaj rajtoj!“
Zurück zum Text in der Überschrift! Das ist ein Zitat aus einer Karikatur, die mir jüngst auffiel und sofort gefiel(8). Um Problemen mit dem Urheberrecht(9) aus dem Weg zu gehen, werde ich hier diese Karikatur von Martin Perscheid(10) nur mit Worten zitieren (mir kommt es mehr auf den Inhalt an als auf die bildliche Darstellung): Die typische Perscheid-Figur steht vor ‘ner Kneipe und betrachtet ein Infoschild mit der Aufschrift „kein Bier für Idioten“ und denkt dann für sich „na toll – da wird man als Nazi mal wieder total ausgegrenzt!“. Ich jedenfalls kann mir durchaus weitere solche Gruppen vorstellen, denen ich eine Ausgrenzung wünschen möchte, werde mich aber lieber zurückhalten, um nicht ebenfalls in die Gefahr zu geraten, auch als fanatisch zu gelten. Utho Maier |
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(0) Diese Seite ist auch (nach Plan) erreichbar über die Kurzadresse http://kurzelinks.de/cenzuri. (1) Esperanto aktuell 32(2013) Heft 3, S. 18-21, esperanto-aalen.de/por_esp-akt/bisher/bisher.htm#tel (2) Interessante Netzfunde: Die Bibliothek der verlorenen Bücher / Alexander Pechmann. - Berlin : Aufbau, 2007 oder https://www.politische-bildung-brandenburg.de/publikationen/pdf/brennende_buecher.pdf (auch lokal gespeichert). (3) 411 vor Chr. stand Protagoras in Athen vor Gericht und wurde wegen Gottlosigkeit verurteilt; seine Schriften hat man öffentlich verbrannt (ob auch ihn selbst, wie es damals Usus war, ist nicht überliefert). Und dennoch (oder gerade deshalb?) wissen wir heute noch, worum es ihm gegangen war; das haben wir nicht nur Platon zu verdanken. Ἄνθρωπος μέτρον ἁπάντων = der Mensch ist das Maß aller Dinge, der seienden, dass sie sind, der nichtseienden, dass sie nicht sind. In einer nicht erhaltenen Schrift „Über die Götter“ soll zu lesen gewesen sein: „Was die Götter angeht, so ist es mir unmöglich, zu wissen, ob sie existieren oder nicht, noch, was ihre Gestalt sei. Vieles hindert unsere Erkenntnis, die Dunkelheit des Gegenstands, die Kürze menschlichen Lebens.“ Trotz Bücherverbrennung sind noch 600 Jahre später viele seiner Schriften verfügbar; Diogenes Laertios bezeugt das. Sie gingen erst viel später verloren, im Verlaufe von Jahrhunderten und aus ganz anderen Gründen, über die wir heute nur noch mutmaßen können. (vgl. Platons Werke in Übersetzung von Friedrich Schleiermacher) (4) An die Stelle des Sanctum Officium trat die Kongregation für die Glaubenslehre, die weiterhin Anzeigen von Büchern entgegen nimmt und diese Werke überprüft. Eigentlich soll sie „die Glaubens- und Sittenlehre in der ganzen katholischen Kirche fördern und schützen“; sie ist aber weiterhin angehalten, Anzeigen von Büchern entgegenzunehmen und diese Werke dann zu überprüfen, wenngleich dann nicht mehr von Verbot die Rede ist, sondern von "Missbilligen". Daher äußert sie sich nicht mehr so oft zu theologischen Lehrwerken (etwa 1975 zu Hans Küngs „Unfehlbar? – Eine Anfrage“). Interessant bleibt, wie zwiespältig die Kirche sich in solchen Fragen verhält: in der Declaratio de duobus operibus professoris Ioannis Küng in quibus continentur nonnullae opiniones quae doctrinae Ecclesiae Catholicae opponuntur vom 15. Februar 1975, publiziert in den Acta Apostolicae Sedis 67 (1975), S. 203–204 rügte man ihn wegen Irrtümern und falscher Glaubenslehren und erteilte ihm Auflagen. Man stellte die schon 7 Jahre laufenden Verfahren ein und verlangte von ihm weder einen Widerruf noch entzog man ihm die Lehrerlaubnis. Im Dezember 1979 entzog ihm die Deutsche Bischofskonferenz die kirchliche Lehrerlaubnis (Missio canonica), nicht der Vatikan! – Sein Kollege Herbert Haag hatte es auch nicht leicht mit der Glaubenskongregation, doch offenbar wurden seine Irrtümer nicht als anstößig genug erachtet: Biblische Schöpfungslehre und kirchliche Erbsündenlehre / Herbert Haag, 1966 – Abschied vom Teufel / Herbert Haag, 1969 – Vor dem Bösen ratlos? / Herbert Haag, 1978 – Nur wer sich ändert, bleibt sich treu / Herbert Haag, 2000 – 1997 hielt Herbert Haag einen Vortrag in Trier: "Abschied vom Klerus. Die Kirche der Zukunft ohne Priester?!" mit der provokanten These: Jesus wollte keine Priester. Seine Überzeugung war bis zum Schluss: Christi Ziel war nicht die "Herrschaft der Priester", sondern eine "Gemeinschaft der Gläubigen" – das hätte vielleicht schon genügt für einen Entzug der Lehrerlaubnis, aber vielleicht wollte man angesichts seines hohen Alters die Sache lieber aussitzen? Wer weiß … (weitere Hinweise dort [lokal]!) (re) http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/45845435, www.spiegel.de/spiegel/print/d-45845435.html, https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Heinemann; anderes Material nur lokal in unserem Intranet. (5) https://lernu.net/fr/forumo/temo/9397 (6) https://www.juraforum.de/forum/t/oeffentliche-buecherverbrennung.58527/ (24.11.2005) (7) Die folgenden Angaben habe ich lieber unterdrückt! (re) nur lokal in unserem Intranet verfügbar. (8) Initiativen gegen Rechtsextremismus sind ja schon alt (www.sueddeutsche.de/bayern/initiative-von-wirten-gegen-rechtsextremismus-kein-bier-fuer-nazis-1.1296177, 2. Mai 2012, 16:44 Uhr: Initiative von Wirten gegen Rechtsextremismus) und werden immer wieder neu aufgegriffen (www.swp.de/ulm/lokales/ulm_neu_ulm/ulmer-aufkleber_-in-gaststaetten-kein-bier-fuer-nazis-10614848.html, 9.9.2015: Ulmer Aufkleber: In Gaststätten kein Bier für Nazis). Doch diesmal wird die Aussage gedreht und generalisiert „kein Bier für Idioten“ – dumm nur für Nazis, wenn diese Leute Idiot und Nazi gleichsetzen und damit zur Selbsterkenntnis? gelangen: „das meint ja uns!“ (9) www.martin-perscheid.de/heise.html (10) ist momentan noch im Netz: www.martin-perscheid.de/3725.html |
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18.01.14